CHILE

Der Wind streift über das staubige Plateau von San Pedro de Atacama. Er kennt die Geschichten, die unter dem Salz verborgen liegen. Geschichten von Liebe, Verrat, Mut und Tanz. Geschichten, die nicht aufgeschrieben, sondern getanzt wurden – mit nackten Füßen, pochendem Herzen und geschlossenen Augen. Carolina steht am Rand der Lehmterrasse, das Haar wie dunkle Wellen, das Kleid vom Wind gezeichnet. Ihre Hände ruhen auf der Schulter von Manuel, als wollten sie sich erinnern. Seine Augen sind geschlossen. Vielleicht hört er wieder den Klang der Cueca, das Klatschen der Hände, den Ruf der Gitarre. Vielleicht hört er ihr Lachen, damals – in Valparaíso, zwischen den farbigen Häusern, dem Geruch von Meer und Versprechen. Sie haben vieles verloren. Menschen. Wege. Jahre. Aber nie den Tanz. Nie das Gefühl, wenn sich ihre Körper suchten und fanden, als wären sie zwei Flammen in derselben Kerze. Carolina hebt den Blick. Über den fernen Vulkanen beginnt der Tag. Es ist der Anfang – oder das Ende. Doch was ist Zeit in einem Land, in dem Erinnerungen wie Vögel kreisen?